Bild mit einem wolkenverhangenem HimmelCover von Stefan Wichmann

Autor: Stefan Wichmann: Die kleine Wolke – Der Lauf des Lebens

Die kleine Wolke

Hoch oben, ganz in der Nähe der warmen Sonne, lebte einmal eine kleine Wolke. Sie fand es toll weit über das Land zu blicken und Menschen und Tiere, Bäume und Wälder zu betrachten. Besonders liebte sie es, wenn der Wind pfiff und sie lustig im Wind treiben konnte. An jedem Ort, den sie erreichte und den sie mit dem Nachlassen des Windes genauer betrachten konnte, erblickte sie etwas Neues. Pferde gab es zu sehen und grüne Wiesen, große Wälder und noch größere Seen! Mit der Zeit fiel ihr auf, dass ihr kleiner Wolkenkörper langsam größer wurde. Besonders an Orten, die viel Wasser führten, wuchs Sie fast täglich. Ihre Freundin, die warme Sonne, lachte und freute sich mit der kleinen Wolke, denn nun konnte der Wind sie nicht mehr so schnell über das Land treiben. Endlich konnte sie die Landschaft selbst dann betrachten, wenn der Wind blies! Sie entdeckte, dass Pferde verschiedene Aufgaben übernahmen. Manche Pferde rannten ganz schnell, sie galoppierten. Dies taten sie besonders oft, wenn ein Mensch auf ihnen ritt. Andere Pferde liefen immer langsam. Sie zogen Wagen hinter sich her, oder ruhten sich aus. Die kleine Wolke beobachtete dies alles sehr genau. Mit der Zeit entstand der Wunsch all diese Dinge ganz aus der Nähe zu betrachten. Doch wie sollte sie es schaffen dorthinab auf die Erde zu kommen? Dies war einfach unvorstellbar! Als der Wind wieder einmal blies und sie langsam vorwärts trieb, bemerkte sie, dass auch die anderen Wolken gewachsen waren. Manche waren schon riesengroß und sahen noch dunkler aus als sie selbst. An einem Tag schließlich entdeckte die Wolke Berge in der Ferne. Begierig dies näher zu erforschen, juchzte sie und pfiff mit dem Wind. Doch je näher sie zu den Bergen kamen, desto höher stiegen sie auf! Die Wolke wurde traurig, denn nun konnte sie die Berge kaum noch erkennen. Sie würde ja nie erfahren, was es mit den Bergen auf sich hatte! Doch in diesem Augenblick bemerkte sie, dass aus den besonders großen und dunklen Wolken Wassertropfen herausfielen. Mit offenem Mund starrte Sie zu einer Wolke, die ganz in ihrer Nähe dahintrieb. Die Tropfen fielen und fielen. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte sie einen Tropfen zu beobachten, bis er auf die Erde plumpste, doch der Abstand zum Boden war einfach zu groß. Sie konnte den Tropfen nicht so lange beobachten! Die große, dunkle Wolke wurde langsam kleiner, weil sie ja alle Ihre Tropfen verlor. Nach einer Weile war die andere Wolke auch nicht mehr dunkel, sondern ganz blass, ja fast wieder weiß, so wie auch die kleine Wolke einmal weiß gewesen war. Ein schrecklicher Gedanke erfasste sie. Was würde passieren, wenn die große Wolke alle Tropfen verloren hatte? Wo war die Wolke dann? Mit dem letzten Tropfen der Wolke würde diese nicht mehr vorhanden sein! Unsicher betrachtete sie erneut das Schauspiel und erkannte, dass die Wolke ja eigentlich nur die Gestalt änderte. Aus der Sammlung an Wassertropfen wurden viele Einzelne, die ihren Weg allein weitergingen. Was passierte aber da unten mit den Tropfen? Sie dachte angestrengt nach, aber sie hatte bisher noch keine Wolke am Boden gesehen, in der sich die Tropfen erneut wiedergefunden hätten. In den frühen Morgenstunden war manchmal ein weißlicher Schleier, der Nebel, zu erkennen gewesen. Ja! Das musste es sein, dachte sie. Die Tropfen fallen bestimmt herunter und finden sich zu einem Nebel zusammen. Dann sind die Wassertropfen ja ganz nah über dem Boden und können alles ganz genau beobachten! Sie freute sich! Beruhigt wartete die Wolke, dass sich auch aus Ihr Tropfen lösten, doch es geschah nichts, weil sie noch nicht dunkel und auch nicht schwer genug war. Mit Bedauern sah sie, wie die Wolke neben ihr kleiner und leichter wurde. Der kleine Rest der Wolke wurde endlich vom Wind fortgestoßen und zerteilte sich in die letzten Tropfen, die dann zu Boden fielen. Mit einem Mal war der Spuk vorbei. In der Wolkendecke klafften große Löcher und die Sonnenstrahlen strahlten freundlich bis auf die Erde hinab. Angestrengt suchte die Wolke nach dem Nebel, in dem Sie die gesammelten Tropfen vermutete, doch sie konnte keinen weißen Schleier entdecken! Sollten die Tropfen etwa ganz bis auf die Erde gefallen sein? Wieder fragte sie sich, was dort mit den Tropfen geschah. Sie grübelte und grübelte. Der Boden sah gar nicht so weich und flauschig aus wie es oben am Himmel war, sondern hart und ungastlich. Mit der Zeit wuchs in ihr wieder die Angst. Sie lernte, dass die freundliche Sonne durch die Wärme kleine Teile von Wassertropfen nach oben holte und dass sich die Tropfen in den Wolken sammelten. Die Wolke merkte, wie sie schwerer und durch die Menge an neuen Tropfen langsam dunkler wurde. Einige Zeit lang versuchte die Wolke den neuen Tropfen auszuweichen, um nicht auch so groß und dunkel zu werden, wie all die andere Wolken, doch es gelang ihr nicht. Sie machte sich nun schon ernste Sorgen. Was nur wird dort unten passieren, fragte sie sich und sie grübelte, was wohl geschieht, wenn ein Tropfen auf ein Tier trifft? Sie hatte beobachtet, dass viele Tiere sich vor dem Regen versteckten. Sicher tat es weh einen Tropfen abzubekommen!
Dann kam der Tag, an dem auch sie so groß und schwer war, dass sie die Tropfen nicht mehr halten konnte! Tropfen für Tropfen löste sich aus ihrem Wolkenkörper. Mit Schrecken sah sie, wie sie kleiner und kleiner wurde! Jetzt kam der letzte Windstoß und zerteilte sie in die letzten Tropfen. Immer schneller fielen sie der Erde entgegen. Ein Luftzug bildete sich unter jedem Tropfen, doch er vermochte es nicht, ihren Fall zu beenden. Der Boden raste auf sie zu. Mücken, die es nicht geschafft hatten einen Unterschlupf zu finden, flogen unter ihr her. Sie wollte keine Mücke treffen, um ihr nicht wehzutun, doch erleichtert bemerkte sie, dass der Luftzug unter ihr die Mücke zur Seite drückte, so dass diese unbehelligt ihren Weg weiterfliegen konnte. Und dann kam der Augenblick, an dem Sie auf dem Boden aufschlug. Mit schreckgeweiteten Augen erkannte sie, dass ein Stein genau an der Stelle lag, an dem sie aufschlagen würde! Der Luftzug unter ihr zerteilte sich fast behutsam als er den Stein erreichte und bremste Ihren Fall sacht ab. Der Ruck, der durch ihren letzten Tropfen ging und diesen in viele weitere, ganz kleine Tröpfchen zerteilte, war nur wenig stärker, als der Ruck, der ihren Körper erfasst hatte, wenn der Wind sie als kleine Wolke getrieben hatte. All ihre Angst war umsonst gewesen! Das Leben bisher hatte sie auch auf diese neue ungewohnte Situation vorbereitet, so dass ihr nichts geschehen war. Ruhig und zufrieden rutschte sie am Stein entlang, schlüpfte in den Boden und trat zwischen die Sandkörner. Es gab viel Neues zu entdecken. Und eines Tages würde die liebe Sonne sie wieder an den Himmel ziehen, der nun so schön blau und warm anzusehen war.

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